Das Nordische Rabentotem

Die animistischen Wurzeln der Rabenflaggehe

Dr. Rune Hjarnø Rasmussen
Übersetzung Markus Nicklas

Das nordische Rabentotem ist Teil eines Rabenmotivs, das auf der ganzen nördlichen Hemisphäre zu finden ist. Dieser zirkumpolare Raben-Trickster, Schöpfer und Totem-Vorfahr ist eine faszinierende Figur voller Mehrdeutigkeit, Tiefe und Kreativität. Er lexistiert unter mehreren Völkern, darunter indigene Nordamerikaner, Inuit, sibirische Korjaken und Tschuktschen. Ich werde das nordische Rabenmotiv als Beispiel für diesen zirkumpolaren Raben-Totemismus und damit als Symbol für die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Nordeuropäern und dem Land, das sie bewohnen, vorschlagen, aber ich werde auch die Geschichte darüber, wie diese alte Bindung gefährdet wurde, und einen Hinweis seiner heutigen Relevanz erzählen.

Die Oxford-Gelehrten Thomas und Patricia Thornton nennen unser Zeitalter das Rabenzeitalter, eine Ära, in der wir die Lehren des Rabentotems brauchen, um dem komplexen Netz von Umweltkatastrophen zu begegnen, das wir geschaffen haben. Denn Rabe steht für eine Moral der ökologischen Interdependenz, kreativer Anpassung und Belastbarkeit durch praktisches Wissen. Qualitäten, die wir dringend brauchen, wenn wir durch das Rabenzeitalter navigieren (Thornton und Thornton 2015, 69, 66, 81). Diese Reflexion ist sehr zeitgenössisch, wirft jedoch die Frage auf, ob wir aus einer ähnlichen Perspektive mit der alten nordischen Rabensymbolik in Dialog treten können? Dürfen wir die Rabenbanner der Wikingerzeit als Zeichen eines Rabentotemismus lesen, der mit dem der Haida und Tlingit vergleichbar ist? Dieses nordische hrafnsmerki [Rabenstandarte] erscheint in einer Reihe von Chroniken und Sagen, die Schlachten bei Clontarf (1014 n. Chr.), Ashington (1016 n. Chr.) und Contesbury (878 n. Chr.) beschreiben (Lukman 1958, 140, 150). Der Artikel wird das zirkumpolare transethnische Rabenmotiv als Hintergrund für das Verständnis des Nordischen Raben und damit der Rabenstandarte vorschlagen.

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Das nordische Rabenmotiv ist in verschiedenen Stadien der Geschichte, wie der Vogelikonographie der Eisenzeit, der mittelalterlichen Rabensymbolik und der Folklore im frühneuzeitlichen Skandinavien präsent, aber die Geschichte zeigt, wie diese animistische, totemistische Beziehung zunehmend abgelehnt wird. Es bewegt sich vom typisch totemistischen Ausdruck in der vorchristlichen Ära hin zu negativeren Ansichten von Raben während der Christianisierung und Modernisierung.

Das zirkumpolare Rabenmotiv.

Die zeitgenössische Forschung sieht Totemismus als eine Modalität des Animismus, bei der ein totemischer Vorfahre Menschen und bestimmte „andere als Menschen“ miteinander verbindet (Harvey, 2017, S. 167). Es verbindet den Menschen mit seinen Ökosystemen, indem es nicht zufällige, artenübergreifende Bindungen der Verantwortung zwischen verschiedenen Mitbewohnern des Landes schafft (Harvey, 2017, S. 167). Dies wird oft durch Mischen ausgedrückt. Die Totemart ist die innere Natur ihrer menschlichen Partner und die Menschheit ist die innere Natur des Totems (Sahlins 2018, 20). Menschen eines Raben-Clans sind tief im Inneren Raben, aber Raben sind in gewisser Weise auch menschlich, denn Rabe ist der Vorfahre einer Gruppe von Menschen.

Der Rabe ist eine wichtige Figur in vielen Gruppen in den zirkumpolaren Regionen. Der schwedische Religionshistoriker Åke Hultkranz schreibt:

Die paläosibirischen Völker teilen mit den nordamerikanischen Indianern die Idee eines Kulturhelden und Tricksters. Sein Name ist Rabe oder Großer Rabe bei den Nordwestindianern, und er erscheint als Mensch oder als Vogel. Unter den Koriak [Sibirien] formte der Große Rabe die Erde, brachte Licht auf sie und erschuf alle Tiere. Er ist der Vorfahr der Menschheit und der erste Schamane. Er ist die prominenteste Gottheit (obwohl es einen undeutlichen, trägen Himmelsgott gibt, der mit der Morgenröte identisch ist, die auch das Universum repräsentiert). Gleichzeitig ist der große Rabe ein höchst obszöner Trickster und beherrscht die Mythologie. (Hultkranz 2005)

Der Grund für die weite Verbreitung des Raben-Motivs ist wahrscheinlich beim Beobachten des Vogels zu finden. Raben sind bekanntermaßen intelligente Vögel, daher ist es leicht, sie mit Menschlichkeit und Persönlichkeit zu assoziieren. Boria Sax beschreibt beispielsweise die berühmten Turmraben als „so ausdrucksstark, dass wir fast vergessen, dass sie keine Menschen sind“ (Sax 2007, 269). Manche glauben sogar, dass Menschen und Rabenvögel eine kulturelle Koevolution erlebt haben (Chappell 2006).

Der Rabe ist ein Vermittler. Sie neigen dazu, der menschlichen Besiedlung zu folgen und als Aasvögel fressen sie Müll, also essen sie in gewisser Weise mit den Menschen. Sie sind Wildvögel, aber sie nehmen an unseren Mahlzeiten teil. Sie sind anders als menschlich, aber in ihrer Intelligenz menschlich. Als Aasvögel auf Schlachtfeldern bringen sie die Gefallenen ins Totenreich. Rabe vermittelt zwischen Leben und Tod, zwischen sozialer Sphäre und Natur, zwischen Mensch und Tier und das ist wohl der Grund dafür, dass Raben nicht nur gewöhnliche Totemtiere, sondern auch zentrale mythische Figuren sind. Bemerkenswert ist, dass die indigenen amerikanischen Völker des pazifischen Nordwestens Rabentotemclans und ausgefeilte Rabenmythologien haben. Hier ist Rabe ein Trickster und Demiurg, der spielt, singt und die Welt ins Leben ruft. Der nordamerikanische Rabe ist eine sehr menschliche Figur. Tatsächlich ist er manchmal humanoid und nimmt Vogelgestalt an, wenn er seine Maske aufsetzt. Beachte die auffallende Ähnlichkeit in der Kombination der Motive zwischen diesem humanoiden Raben und dem nordischen Rabengott Óðinn, der auch ein Trickster, Schöpfer, Vorfahr ist, und mit Schamanismus in Verbindung gebracht wird.

Unter den indigenen Amerikanern wie den Haida-Tlingit-Gruppen ist die Rabenmaskierung wichtig, und diese Rituale führen Totemismus mit großer Subtilität und Präzision aus. Die Rabenmaske kann sich öffnen und zeigt dann ein menschliches Gesicht im Raben. Eine Haida-Performance der Transformationsmaske ist eine Erforschung des Mysteriums des Animismus. Verschiedene Bedeutungsebenen werden signalisiert, wenn der Darsteller des Rabenclans seine innere Rabennatur externalisiert, indem er die Transformationsmaske aufsetzt.

1. Auf der oberflächlichsten Ebene führt der Mensch Rabe auf. Er erschafft ein Bild vom Raben und mit etwas aussetzen des Unglaubens sehen wir den Vogel sich dort vor uns bewegen.

2. Diese äußere Raben-Maske signalisiert jedoch auch Raben speziell im totemistischen Sinne. Er wird Rabe (die Maske) mit einem Menschen darin (dem Darsteller).

3. Aber diese Mehrdeutigkeit wird durch die Transformation der Maske vertieft, die ihre innere menschliche Natur offenbart, wenn sie sich öffnet und das menschliche Gesicht zeigt. Die Maske zeigt Rabe mit einem Menschen darin und wird von einem Raben Clanmitglied getragen, d.h. einem Menschen mit einem Raben darin. Es ist eine Spiegelung der menschlichen und Raben-Natur in tiefer Verstrickung.

Mensch und Totem sind, fast wie chinesische Schachteln, ineinander verschlungen und wieder sehen wir etwas Vergleichbares in eisenzeitlichen skandinavischen Broschen, wo auch menschliche Masken aus dem Raben blicken.
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Ein Blick auf das nordamerikanische Material kann uns Hinweise geben, um das Symbol des nordischen Raben zu verstehen. Menschen sind gar nicht so unterschiedlich, und wenn sie Ideen mit solcher Ähnlichkeit produzieren, dann liegen wahrscheinlich ähnliche Konzepte zugrunde.

Inspiriert von der zeitgenössischen animistischen Theorie können wir das Symbol des nordischen Raben als animistisches Totem eines Typs vorschlagen, der mit dem nordamerikanischen Raben vergleichbar ist. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Totem-Vorfahren, der Gruppen von Menschen darstellt, die eine Beziehung zum Raben zeigen, indem sie menschliche und Rabenform mischen. Es ist wahrscheinlich auch ein mythisches Motiv, das das vermittelnde dynamische Realitätsprinzip darstellt, das also Trickster- und Schöpferaspekte hat. Diese vermittelnden Aspekte führen dazu, dass der Rabe das Prinzip des Animismus verdichtet. Seine Nähe zum Menschen als Wildvogel macht ihn besonders ikonisch für die Person als eine allgemeinere Bedingung der gelebten Realität. Das menschliche Gesicht, das aus Vogelkörpern herausschaut, wirkt fast wie anschauliche Beschreibungen dessen, was der brasilianische Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro Perspektivismus nennt, die Vorstellung, dass das, was wir wahrnehmen, einen eigenen Standpunkt hat. Etwas wird zu einem Jemand, indem es wahrgenommen wird (Viveiros de Castro 1998).

Als Ableger des zirkumpolaren Raben-Mythos scheint das Totem des nordischen Raben den Schöpfergott als Trickster, Schamane und Schutzpatron bestimmter Verwandtschaftsgruppen zu symbolisieren. Der Rabe könnte Gemeinschaften durch eine totemistische Verbindung zu einem mythischen Vorfahren, dem Rabengott Óðinn, repräsentiert haben. Das Folgende gibt einen Überblick über den Nordischen Raben aus totemistischer Perspektive.

Frühe skandinavische Vogelmenschen.

Die Vermischung von Menschen und Vögeln findet sich schon in frühen Zeiten der skandinavischen Geschichte. Felszeichnungen und Funde aus der Bronzezeit zeigen die Vermischung von Vogel und Mensch. Zum Beispiel sind die spektakulären Veksø-Helme (ca. 1000 v. Chr.) mit Schnäbeln und Augen geschmückt, ein Motiv, das mehr als eineinhalb Jahrtausende später in der Kombination von Vogel-Mensch-Maskierung und gehörnter Kopfbedeckung wieder auftauchen wird (siehe unten).

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Die Vermischung von Mensch- und Vogelgestalt wird durch die Eisenzeit entwickelt. Die nordeuropäischen Brakteatenmedaillons aus dem 5. bis 6. Jahrhundert n. Chr. stellen oft stark stilisierte Reiter dar, die manchmal einem Vogel gegenüberstehen und manchmal eine Art Kopfbedeckung mit Vogelkopf tragen (siehe Abb. 7 und 8).
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Weiter in die Eisenzeit hinein finden wir Broschen mit einem ikonischen Beispiel der Mensch-Vogel-Mischung. In Vogelfibeln aus der späten Eisenzeit finden wir menschliche Gesichter in den Vogelformen (siehe Abb. 6). Der Mensch im Inneren des Vogels ist unverkennbar, so dass dies eine Art Vogeltotemismus darstellen könnte, unabhängig davon, ob das eigentliche Totem Adler, Rabe oder ein anderer Vogel gewesen wäre.

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Die späte Eisenzeit beschert uns auch eine Art Brosche mit menschlichen Gesichtern in Vögeln, die entschieden wie Raben aussehen (siehe Abb. 10) (Abramson 2014). Diese Broschen erscheinen oft paarweise und stammen aus einer Zeit, die nicht weit von der Wikingerzeit entfernt ist, als ein skaldisches Gedicht wie das Haustlöng Óðinn als den Hrafnass, den Rabengott, beschreibt. Es scheint eine wahrscheinliche Interpretation zu sein, dass diese menschlichen Masken die innere Natur dieser Rabenvögel darstellen, fast wie konzeptionelle Illustrationen von Óðinns Raben als menschlich-geistige Fähigkeiten, Huginn und Muninn, was Geist und Gedächtnis bedeutet. Das Gesicht in diesen Broschen signalisiert wahrscheinlich die totemistische Mischung zwischen Mensch und Vogel, die menschliche geistige Fähigkeit als die tiefere Natur des Raben.

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Es gibt einige Beispiele aus der späten Eisenzeit und der Wikingerzeit, bei denen dieses konzeptionelle Schema anscheinend rituell in der Vogelmaskierung umgesetzt wurde (siehe Abb. 11). Dies scheint in einem Fragment des Oseberg-Wandteppichs der Fall zu sein (N. S. Price 2002, 173). Das Gewebe zeigt einen Menschen in einer Art Vogelmaskierung. Es gibt auch Fälle, in denen Umhänge, von Frauen getragen, die auf Goldfolien abgebildet sind, Federn imitieren könnten (Watt 1999).

Screenshot 2022-01-20 at 090359pngVogelmaskierungen finden sich auch auf Helmen und in der Darstellung von Kriegern auf Helmplatten (siehe Abb. 12). Auf Helmen aus späteisenzeitlichen Bootsgräbern sehen wir den Vogel im menschlichen Gesicht. Ein schwedischer Helm hat einen Nasenschutz in Vogelform und der berühmte Sutton Hoo Helm verwandelt die Züge des menschlichen Gesichts elegant in eine Vogelform (siehe Abb. 13). Die Augenbrauen und der Nasenschutz bilden die Flügel und den Körper des Vogels und der Schwanz ist die Oberlippe des menschlichen Gesichts. (N. Preis und Mortimer 2014, 520)..

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Eine weitere Klasse der nordischen Vogelmaskierung ist eine besondere Art von Kopfbedeckung, die von Hörnern gekrönt, in Vogelköpfen endet. Diese seltsamen Insignien sind (wahrscheinlich) in Bildern von Ritualdarstellern zu sehen. Sie werden in die späte Eisenzeit datiert und reichen bis in die Wikingerzeit (Helmbrecht 2008) (siehe Abb. 14). Die Vogelgestalten wachsen – oder strahlen – fast aus dem menschlichen Kopf und dies wurde als rituelle Darbietung von Óðinn interpretiert, am sichtbarsten in den sogenannten „Speertänzern“ (siehe Abb. 15). Diese Gestaltung ist in Dänemark und Schweden üblich und auf den britischen Inseln bemerkenswert ausgeprägt (siehe Abb. 16). Im zirkumpolaren Kontext ist es erwähnenswert, dass indigene Amerikaner manchmal doppelköpfige Rabenmasken tragen (Helmbrecht 2008).

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Die Vermischung von Vogel und Mensch nimmt jedoch in der Eisenzeit viele Formen an. Sie wird mit beträchtlicher künstlerischer Eleganz ausgedrückt (Abb. 17 A, B), aber manchmal auch mit einer Mehrdeutigkeit, die verlockt als trickster-ähnlich zu sehen ist. Es gibt Fälle, in denen es schwierig ist, Mensch und Vogel (C) zu unterscheiden, und es gibt sogar Fälle, in denen die Mensch-Vogel-Mischung auf subtile Weise erforscht wird, in denen es schwierig ist, deinen eigenen Augen zu vertrauen. Gibt es wirklich sowohl Menschen- als auch Vogelformen, wenn du den Fokus auf diesem norwegischen Brakteat änderst? (Siehe Abb. 18) (Kristoffersen 2010). In ähnlicher Weise erscheinen die Objekte in Fig. 19 mehrdeutig. Ähneln die Vögel auf diesem angelsächsischen Anhänger einem menschlichen Gesicht (links)? Und bildet der rabenartige Vogel aus Dänemark von vorne gesehen ein menschliches Gesicht, mit Schnabel als Nase und Flügeln, die einen markanten Schnurrbart bilden (rechts)?

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Screenshot 2022-01-20 at 091207pngVon allen Raben-Bildern ist der sogenannte Odin aus Lejre vielleicht das eindrucksvollste. Eine menschliche Figur sitzt auf einem thronähnlichen Stuhl. Möglicherweise eine Darstellung von Odins Thron Hlíðskjalf oder ein seidhjallr, d. h. eine zeremonielle Plattform für die seidr-Praxis. Die Figur wird von zwei Rabenvögeln, wahrscheinlich Raben, flankiert. Die Raben richten ihre Schnäbel, als würden sie mit der Figur sprechen, auf den Kopf der Figur.

Screenshot 2022-01-20 at 091328pngDie Figur ist stark stilisiert und obwohl Experten festgestellt haben, dass ihre Kleidung feminin wirkt, ist ihre Ähnlichkeit mit Snorris Bild von Odin, der auf Hlíðskjalf sitzt und die Nachricht von den Raben empfängt, nicht zu leugnen.

Insgesamt zeigt die eisenzeitliche Ikonographie die Vermischung von Mensch und Vogel auf eine Weise, die auf totemische Ideen hinweisen könnte, möglicherweise in Verbindung mit der Figur Odin, wie wir sie aus dem späteren isländischen Material kennen. Wir sehen die Menschheit als die innere Natur des Raben und wir sehen die Menschen, die ihre Vogelnatur durch Maskierung annehmen oder ausführen.

Literarische Quellen.

Der naheliegende Ort, um mit der Analyse des nordischen Rabentotems in der Wikingerzeit zu beginnen, ist der Gott Odin. Wie bereits erwähnt, sind seine berühmten Raben nach menschlichen geistigen Fähigkeiten benannt: Huginn und Munin (Geist und Gedächtnis). Diese Namen weisen darauf hin, dass die „innere Natur“ von Odins Raben etwas Menschliches hat, möglicherweise ein Beispiel für totemistische Mischung. Odins Verbindung mit Raben findet sich in der Eddik- und Sagaliteratur, in der skaldischen Poesie und es gibt eine Reihe von Namen, die Odin mit dem Raben identifizieren. Häustlong hat den Hrafnass [die Raben-Asen-Gottheit]. In Gylfaginning gibt uns Snorri Hrafnagud [den Rabengott] und in Husdrapa finden wir Hrafnfreistudr [den Rabentester]. Odins Verbindung mit Raben kommt auch in dem Gedicht Grimnismal vor, das allgemein als eine der älteren Quellen für die vorchristliche nordische Religion angesehen wird (z. B. Andrén, 2006, S. 378). Es erwähnt das Odin auf die Raben wartet

Huginn ok Muninn
fljúga hverjan dag
Jörmungrund yfir;
óumk ek of Hugin,
at hann aftr né komi-t,
þó sjámk meir of Munin.

Hugin und Munin
müßen jeden Tag
Über die Erde fliegen.
Ich fürchte, daß Hugin
nicht nach Hause kehrt;
Doch sorg ich mehr um Munin.
(Die Edda, Karl Joseph Simrock)


In Gylfaginning zitiert Snorri diese Strophe und gibt uns das ikonische Bild von Huginn und Muninn als Odins Boten:

Hrafnar tveir sitja á ǫxlum honum ok segja í eyru
honum ǫll tíðindi flau er fleir sjá eða heyra. Ϸeir heita
svá: Huginn ok Muninn. Ϸá sendir hann í dagan at
fljúgja um allan heim ok koma fleir aptr at
dǫgurðarmáli. Ϸar af verðr hann margra tíðinda víss.
Ϸví kalla menn hann hrafna guð.

Zwei Raben sitzen auf seinen Schultern und sagen ihm ins Ohr alle Zeitungen, die sie hören und sehen; sie heißen Hugin und Munin. Er sendet sie morgens aus, alle Welten zu umfliegen, und mittags kehren sie zurück und so wird er manche Ereignisse gewahr. Die Menschen nennen ihn darum Rabengott. (Die Edda, Karl Joseph Simrock)

Es ist leicht, diese Raben-Botschafter mit Odins schamanischen Fähigkeiten in Verbindung zu bringen. Sie werden auch in der Ynglinga Saga erwähnt, die auch besagt, dass er in Form von Vögeln und anderen Tieren reisen kann (Sturluson, Snorri, 2012, Ch 7).
In der Wikingerzeit scheint der Rabe von dem möglicherweise legendären Ragnar Loðbrók, dessen viele Schlachten in dem Gedicht Krakumal, das Krähenlied (Lukman 1958, 132, 135) gepriesen werden, mit der dänischen Königsfamilie verbunden zu sein. Die angelsächsische Chronik berichtet, dass englische Christen 878 eine gunfani [Kriegsstandarte] namens „der Rabe“ von dänischen Wikingern nahmen (Lukman 1958, 140). In den Annalen des Heiligen Neots (1105 n. Chr.) heißt es, dass drei Schwestern, Töchter von Ragnar Loðbrók, dieses Banner gewebt hatten, das einen mit den Flügeln schlagenden Raben darstellte und das von den Häuptlingen Ingvar und Ubbe geführt wurde. Dies bedeutete Sieg, aber wenn das Banner bewegungslos fiel, bedeutete es eine Niederlage (Lukman 1958, 141). Die mittelalterliche englische Literatur wiederholt dieses Motiv besonders in Verbindung mit den Dänen. Im anglo-normannischen Estoire des Engles (1140) treffen wir Ubbes Gunfani, den Raben, an und in einer mittelenglischen Tradition von Havelok dem Dänen erscheint Ubbe in Verbindung mit einem Banner namens „Huwe Rabe“, das Havelok assistiert (Lukman 1958, 142) . Das Rabenbanner findet sich auch in der Chronik der Taten von König Cnut, Gesta Cnutonis Regis, aus dem 11. Jahrhundert. Es beschreibt Cnuts Wikinger, die ein Rabenbanner in die Schlacht von Ashington (1016 n. Chr.) tragen. Dieses war aus heller Seide gewebt und hatte kein Bild gestickt, doch in Kriegszeiten wirkt es als würde ein Rabe darauf zu erscheinen, seinen Schnabel öffnend, mit den Flügeln schlagend und im Sieg unruhig in den Füßen, aber sehr ruhig und am ganzen Körper hängend als die Armee vor einer Niederlage stand (Lukman 1958, 140).

Um 1180 beschreibt der Abt William Ramsay, wie der Graf von Orkney, Sigurðr Digri, von einem alten Mann auf einem Hügel das Banner Ravenlandauge [Rabe, Schrecken der Länder] erhält (Lukman 1958, 148). Dieses Wort „Landauge“ kann direkt mit Raben in Verbindung gebracht werden oder nicht, aber ein verwandtes Wort taucht in einer anderen Beschreibung einer Kampfstandarte auf, d.h. dem Landeydan [Landzerstörer]-Banner, das der norwegische König Haraldr Hardráða laut Snorri nach England trug (Lukman 1958 .). , 149).

Es gibt andere Spuren der Raben-Standarte in den nordischen Quellen. In der Orkneyinga-Saga und der Njals-Saga treffen wir in der Schlacht von Clontarf (A.D. 1014) (Lukman 1958, 150; Wild 2008b, 39). Das Banner ist von Sigurðrs Mutter gemacht und man sagte, dass es dem Mann, der das Banner hält, den Sieg, aber auch den Tod bringen soll. Torsteins Saga Sidu Hallssonar beschreibt auch die Schlacht und als der Graf das Rabenbanner nimmt, hört er eine Stimme vom Himmel, die ihm rät, auf einen bestimmten Ort hin zu drängen um den Kampf zu gewinnen (Wild 2008b, 40). In der Njals-Saga folgt auf die Clontarf-Episode Darradarljod, ein Gedicht, das beschreibt, wie Walküren auf einem furchterregenden Webstuhl aus menschlichen Körperteilen und Waffen weben. Das Wort Darradr könnte von einer Wurzel abgeleitet werden, die einen Wimpel bedeutet – vielleicht ein Hinweis auf die etwas düstere Rolle des Rabenbanners in der Schlacht von Clontarf (Holtsmark 1939, 88; Poole 1991, 125–31). Raben tauchen auch in der irischen Beschreibung der Schlacht auf. Der Cogadh Gaedhel re Gal laibh beschreibt, wie der irische König Brian Boru Irland vor der Herrschaft einer nordisch/Leinster-Allianz rettet. In der apokalyptischen Beschreibung erscheint ein Badb [corvid/übernatürliche weibliche Gestalt] als Zeichen über den Armeen, fast so, wie der christliche Kaiser Konstantin vor der Schlacht an der Milvischen Brücke das Kreuz am Himmel erscheinen sah (Lukman 1958, 146). Auch die walisische Geschichte Rhonabwys Traum hat eine magische Bedeutung, die den Raben auf dem Schlachtfeld zugeschrieben wird (Lukman 1958, 143). Rabenvisionen im Zusammenhang mit Schlachten würden in Skandinavien weiterhin ein wichtiges Motiv bleiben. In der Nacht vor der Schlacht von Grathe Heath (1157 n. Chr.) sah der dänische König Waldemar der Große in einem Traum seinen Vater, der ihm sagte, dass er gewinnen würde, wenn er nur seine Armee dort aufstellen würde, wo die meisten Raben flogen. Die Geschichte ähnelt stark der Art und Weise, wie der Earl, der das Clontarf Raben-Banner in Torsteins Saga Sidu Hallssonar anführt, eine göttliche Stimme hört, die seine Kampfposition lenkt (Brøndegaard 1985, 261; Wild 2008b, 40). Der Chronist Saxo fügt hinzu, dass große Scharen von Raben so tief flogen, dass die Soldaten von Valdemar sie mit ihren Lanzen berühren konnten, eine Symbolik, die Haraldr Hardráðas Vision von Raben und Adlern am Bug jedes Schiffes ähnelt, als er nach England aufbrach (Lukman 1958 .). , 149; Winkel Horn 1913, bk. XIV).

Es gab Hinweise darauf, dass das Rabenbanner ein rein literarisches Motiv ist, das aus den Beschreibungen der Schlacht von Clontarf stammt (Griffith 1995, 144). Im Kontext der Archäologie, die auf den Raben-Totemismus in Skandinavien hindeutet, denke ich jedoch, dass die Konsistenz und Häufigkeit dieser Quellen darauf hindeutet, dass wahrscheinlich eine Art Raben-Standarte verwendet wurde. Es ist auch erwähnenswert, dass diese Raben-Standarten kein isoliertes Phänomen sind. Sie sind Teil eines umfassenderen Motivs von Kriegsbannern und Kampfzeichen, die Krieger stärken oder den Sieg verheißen. Haraldr Hardráðas Landeyðan war ein ähnlich mächtiges Banner, und als die Franken die Dänen mit ihren Signia horribilia gefangen nahmen, erfuhren diese Vexilia [Kampfstandarten] mit dem schrecklichen heidnischen Labarum [religiöse Kampfsymbole] bei der Eroberung durch die Christen unheilvolle Veränderungen (Lukman 1958, 138).

Diese verschiedenen Quellen spiegeln eine allgemeine Vorstellung wider, dass Kampfstandarten Omen geben und der Armee Macht verleihen. Insbesondere gibt es die Idee, dass die physische, buchstäbliche Dynamik der Flagge das Kriegsglück einer Armee widerspiegelt. Diese Geschichten von religiös aufgeladenen Kriegsbannern sagen nicht unbedingt viel speziell über das Rabenbanner aus, aber sie bieten einen Kontext dafür. Die Vorstellungen von mächtigen Kriegsbannern und dem Raben als positives Kampfzeichen halten sich zumindest bei dänischen Königen bis weit ins Mittelalter. Ein spätes, aber wichtiges Beispiel für diesen Glauben an Kampfstandarten könnte die Geschichte vom wundersamen Erscheinen des rot-weißen Kreuzes, später die Nationalflagge von Dänemark, von Dannebrog sein. Der Legende nach fiel es in der Schlacht von Lyndanisse (1219 n. Chr.) während des Kreuzzugs von König Waldemar dem Eroberer gegen die Esten vom Himmel. Er war der Sohn von Waldemar dem Großen, dessen Schlacht von Grathe Heath von Rabenvorzeichen umgeben war. Dies scheint jedoch in den Erzählungen von Waldemar des Eroberers Kreuzzug obsolet geworden zu sein. Kreuzbanner waren im dänischen Mittelalter bekannt und eine Münze zeigt Waldemar den Eroberer, möglicherweise in Anspielung auf seine Kreuzzüge (Lind 2001, 21), mit einem Kreuzbanner. Die erste bekannte Aufzeichnung der Dannebrog-Legende stammt jedoch aus dem Jahr 1527, mehr als 300 Jahre nach der Schlacht. In seiner ältesten Form heißt es kurz, dass die Dänen während einer Schlacht Gott anriefen, der die Fahne vom Himmel als Zeichen schickte und wenn diese Fahne hochgehalten wurde, sie sicherlich siegreich sein würden (Lind 2001, 24). Es ist schwer zu sagen, wie weit der Mythos zurückreicht, aber es scheint wahrscheinlich, dass er auf die mittelalterliche Vorstellung von mächtigen Kampfstandarten zurückgeht und obwohl populäre Spekulationen über das Rabenbanner als „das ursprüngliche Dannebrog“ die Verbindung übertreiben, ist es immer noch bemerkenswert, dass Beschreibungen einer entscheidenden Schlacht, die Valdemars Vater ausgetragen hatte, ließen nicht die Kreuzfahrerfahne, sondern Raben hatte, die mit Sieg über die Armee herabkam.
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Zusammenfassend scheint das Rabenbanner in verschiedenen Konstellationen aufgetaucht zu sein. Ähnlich wie das Totem des nordamerikanischen Raben war es transethnisch und kommt in Verbindung mit verschiedenen Gruppen vor. Das Banner wird besonders mit den norwegischen Grafen von Orkney, den dänischen Königen, in Verbindung gebracht, und – wie wir weiter unten sehen werden – könnte es in der anglo-nordischen Danelag-Politik verwendet worden sein. Es gibt jedoch keinen Hinweis auf den Raben als universelles Banner der Wikinger.

Dies wirft natürlich die Frage auf, wie diese Raben-Standarte ausgesehen haben könnte, eine Frage, die sowohl bei Gelehrten als auch bei begeisterten Laien Interesse (und Kreativität) geweckt hat, und es mag auf diese Frage möglicherweise nicht nur eine Antwort geben. Die mittelalterlichen Quellen spiegeln wahrscheinlich Vorstellungen von Rabentotem wider, die verschiedene Gruppen in verschiedenen Kontexten repräsentierten und daher auf unterschiedliche Weise eine physische Form erhalten hätten. Es könnte in manchen Situationen eine Flagge gewesen sein, in anderen eine Standarte in der Arte eines römischen Adlers, und die Verwandtschaft der Raben könnte durch Helmkämme, Broschen oder rituell von vogelgehörnten Maskeraden dargestellt worden sein. In einigen Situationen könnte das Symbol Odin als „Hrafnblots godi“ bezeichnet haben, den Priester des Rabenopfers. Dann wäre es seine Funktion, die Erschlagenen als Schlachtopfer für Odin, repräsentiert durch die Aasvögel, zu sakralisieren (Wild 2008b, 46). In diesem Fall ist die Standarte eine Art Kampfmagie und diese militanten „Terror der Länder“-Assoziationen dominieren das Schriftmaterial. Wir müssen uns jedoch zwei Dinge merken. Erstens, dass Symbole polyvalent sind und unterschiedliche Bedeutungen haben, die mit ihnen verbunden sind. In einem solchen Symbol waren wahrscheinlich mehrere Bedeutungen vorhanden. Wie wir weiter unten sehen werden, ist es sogar möglich, dass christliche Bedeutungen eine Rolle gespielt haben könnten. Zweitens, dass alle Symbole der Gemeinschaft militant sind, wenn sie in militanten Situationen verwendet werden. Die französische Flagge ist auch im Krieg ein militantes Symbol, aber dies erschöpft die Bedeutung der Tricolore nicht. Tatsächlich ist die Hauptbedeutung der Flagge überhaupt nicht militant. Es steht für eine Gemeinschaft, die auf bestimmten Werten basiert. Die drei Farben stehen für das Motto der französischen Republik: „Liberté, égalité, fraternité“. Kriege sind jedoch Situationen, in denen Geschichte aufgezeichnet wird, also treffen wir hier auf das Rabenbanner, aber Rabe als Gemeinschaftssymbol hatte wahrscheinlich auch andere Bedeutungsebenen als die, die sich unmittelbar in der mittelalterlichen Literatur widerspiegeln, und hier könnten wir Verwendung zum Vergleich des zirkumpolaren Motivs finden. Der Rabe repräsentierte wahrscheinlich bestimmte Verwandtschaftslinien oder vielleicht Dynastien, wie die mit Odin verbundene dänische Scylding-Dynastie, aber es ist unklar, wie weit sich die Schirmherrschaft von Óðinn über eine königliche Dynastie – und damit der Rabe als totemistisches Kennzeichen – unter den Anhängern von so einem König verbreitet hätte. Vielleicht war es im Kontext sogar unklar.

Rabenbanner in Materialüberresten

Im zehnten Jahrhundert prägte der tatkräftige Yorker König Olafr Gudrodsson eine Münze, von der einige Gelehrte glauben, sie stelle ein Wikingerrabenwappen dar. Ólafr behauptete, vom legendären Wikinger-Führer Ivarr hinn Beinlausi, dem Sohn des noch legendäreren Ragnar Loðbrók, abzustammen (Wild 2008a, 201). Das könnte von Bedeutung sein weil eine Reihe von Quellen Ragnar Loðbrók mit der Raben-Standarte in Verbindung bringen. Daher ist es wahrscheinlich, dass Ólafr das Rabensymbol benutzte, um diese Genealogie zu untermauern, wie auch immer sie gedacht war.

Die Münze ist als der silberne Rabenpenny bekannt und stellt möglicherweise ein Beharren auf der skandinavischen Danelag-Identität dar, da sie die einzige englische Münze ist, die ein nordisches Wort trägt: das Wort CVNVNC [König] (Wild 2008a, 205, 206).
Wild merkt jedoch auch an, dass dies möglicherweise keine besonders heidnische Identität signalisiert, sondern eher eine Assoziation mit christlichen Vorstellungen von Raben ist, die Heiligen assistieren, wie in den Legenden von St. Paul, St. Antonius und insbesondere St. Oswald, der in im nordenglischen Kontext besonders relevant ist (Wild 2008a, 206).
Dies ist sicherlich eine Möglichkeit, aber ich würde behaupten, dass die Aufladung eines solchen Symbols polyvalent ist. Die Vogelfigur ist stark stilisiert. Sogar seine Identifizierung als Rabenvogel könnte wahrscheinlich in Frage gestellt werden, sodass er für verschiedene Beobachter durchaus unterschiedliche Dinge dargestellt haben könnte. Sowohl heidnische als auch christliche Bedeutungen können leicht mit einem Symbol in Verbindung gebracht werden. Diese Art von synkretistischer Mehrdeutigkeit mag sogar eine wichtige Motivation für die Wahl des Symbols gewesen sein. Tatsächlich ist die Verbindung von St. Oswald mit dem Raben wahrscheinlich selbst ein Synkretismus, der aus der nordenglischen Begegnung zwischen nordischen und christlichen Glaubenssystemen hervorgegangen ist (Wild 2008a, 206).

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Es gibt andere Beispiele für Bilder, die mit dem Raben-Banner in Verbindung gebracht wurden. Eine dunkle Vogelfigur erscheint auf einem Lanzenwimpel auf dem Teppich von Bayeux (siehe Abb. 23) (Fowke 1898, 114–15), und es gab Spekulationen über ein spektakuläres Vogeldesign, das auf einer norwegischen Wikinger-Wetterfahne gefunden wurde (siehe Abb. 24).

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Ich habe Schwierigkeiten, eine starke Verbindung zwischen diesen Vogelbildern und dem Rabenbanner zu erkennen. Die norwegische Wetterfahne ist definitiv keine Kampfflagge, und es ist unmöglich, aus der kunstvollen Ornamentik im Ringerike-Stil eine Vogelart zu deuten. Das Stückchen normannische Vogelheraldik auf dem Teppich von Bayeux bietet auch wenig Sicherheit, dass der (möglicherweise) Rabe eine Beziehung zum Rabenbanner hat, aber es ist nicht unmöglich. Ein weiteres zu beachtendes Stück Heraldik ist das Siegel der Grafschaft Odense in Dänemark. Bis zum 16. Jahrhundert hatte dieses Gebiet ein Corvid-Wappen. Wenn man bedenkt, wie intensiv sowohl Raben als auch Krähen im christlichen Dänemark dämonisiert wurden (siehe unten), scheint dieser heraldische Rabenvogel ein unwahrscheinlicher Zufall auf dem Wappen einer Stadt zu sein, die wörtlich „Óðinns vi“ (Odins Heiligtum) genannt wird.


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Die von einem Nachkommen (oder eingebildeten Nachkommen) von Ragnar Loðbrók geprägte York-Münze scheint jedoch immer noch das beste Angebot zu sein, insbesondere wenn der Rabe als polyvalenter Ausdruck der Danelag-Englisch-Identität gelesen wird, der nordische und christlich-englische Symbolik vereint. Diese Spekulationen enthüllen jedoch noch etwas anderes und das ist der sehr starke zeitgenössische Wunsch, diese Raben-Standarte zu visualisieren, und so fadenscheinig einige dieser zeitgenössischen Spekulationen auch sein mögen, die Raben-Standarte scheint existiert zu haben, also könnte unser Kampf mit diesem Symbol nicht vorüber sein und neue archäologische Funde können neue Hinweise geben.

Am interessantesten an dem Material der Wikingerzeit über die Rabenstandarte ist, dass sie wahrscheinlich eine Gemeinschaft repräsentierte, die auf die Mischung zwischen Krieger und Vogel ausgerichtet war. Obwohl die Speertänzer das einzige eindeutige Beispiel aus der Wikingerzeit dafür ist, könnte diese Standartenhaltung durchaus eine totemistische Gruppenkonzeptualisierung implizieren, die aus der Mensch-Vogel-Mischung abgeleitet werden kann. Dies wird durch diese Rabenstandarte verstärkt, die in Bezug auf Verwandtschaftslinien mit Odin, dem Rabengott, als Ahnengottheit erscheinen. Odin hatte diese Rolle für eine Reihe nordeuropäischer Gruppen, wie die dänischen Skjǫldungar [Scyldings], angelsächsische Königslinien, die norwegischen Grafen von Hlaðir und als Vorfahre der Götar [Gauten] in Schweden. Es ist ein unwahrscheinlicher Zufall, dass Könige, die den Rabengott als ihren mythischen Vorfahren betrachten, Berichten zufolge eine Rabenstandarte in die Schlacht getragen haben. Als Schöpfer, Vorfahr, Trickster und Schamane hat Odin alle für das zirkumpolare Rabenmotiv typischen Motive. Durch ihn scheint das nordische Rabensymbol in der zirkumpolaren Familie der Rabenkultur und des Totemismus zu Hause zu sein. Angesichts der Vermischung von Vogel und Mensch sowohl in der Archäologie als auch in der Mythologie ist es daher viel wahrscheinlicher, dass diese Standarte eine Form des Raben-Totemismus darstellt.

Das Mittelalter und weiter

Die Rabensymbolik verschwand nicht mit der Machtergreifung des Christentums, aber es gibt unverkennbare Muster der Ablehnung und Domestikation von Raben. Diese Ablehnung scheint gleich zu Beginn der Interaktion zwischen heidnischen Skandinaviern und christlichen Europäern angefangen zu wirken zu haben. Christliche Schauspieler verwendeten die nordische Rabensymbolik in Erzählungen, um den christlichen Vorrang zu festigen. Ein irischer Gelehrter aus dem 9. Jahrhundert erzählt zum Beispiel, wie einige dänische Delegierte nach den Angriffen von Ragnar Loðbrók auf Paris während Friedensgesprächen in Frankreich getauft wurden. Dadurch wurden ihre bunten Kleider auf magische Weise weiß, wodurch sich die Dänen auf wundersame Weise von heidnischen Raben in friedliche christliche Tauben verwandelten (Lukman 1958, 136).

In einigen Fällen besteht die Verbindung mit Odin jedoch noch lange nach der Bekehrung zum Christentum. In der schwedischen Region Wärend bemerkte der Humanist Hyltén-Cavallius aus dem 19., dass es Pech bedeutet, Odens faglar [Odins Vögel] zu töten. Diese Bezeichnung gilt für alle Rabenvögel, insbesondere Krähen und Raben, aber auch Dohlen und Elstern (Hyltén-Cavallius 1868, 213). In einer Rekonstruktion der isländischen Huldar-Saga aus dem 18. Jahrhundert gibt die jǫtun [Riese] Frau Hulda Prinz Odin Raben (Huldar Saga, 1805, Chapter 9). In Norwegen blieben Raben mit Weisheit verbunden; der Rabe wurde Salomo genannt, d. h. der mit Weisheit verbundene biblische König, und Raben wurden als positives Omen angesehen, wenn sie ein bestimmtes Gericht akzeptierten, das aus der Milz eines geschlachteten Tieres zubereitet wurde (Olrik und Ellekilde 1951, 922).

In Dänemark wurde der Rabe intensiv dämonisiert. Wie der Krähe werden dem Raben fast alle negativen Eigenschaften zugeschrieben, die man sich vorstellen kann. Er wurde als „der Apostel Satans“, der einzige Vogel, der nicht um das Kreuz Christi trauerte, bezeichnet (Brøndegaard 1985, 256, 259, 261, 279). Diese beiden Raben galten jedoch auch als weise, und die alte Idee des Raben als Überbringer wahrer Informationen blieb ebenfalls bestehen. Raben nehmen manchmal diese Rolle in Märchen ein und werden sprichwörtlich als böse bezeichnet, weil sie die Wahrheit sagen (?!) (Brøndegaard 1985, 268, 278). Das allgemeine Bild in der dänischen Folklore ist jedoch, dass Raben ominöse Vögel sind, die mit der Hölle in Verbindung gebracht werden. Galgenhügel wurden oft nach den dort lebenden Raben benannt. Sie wurden als Omen für Tod, Unglück und Krankheit angesehen (Brøndegaard, 1985, 261). Als Apostel Satans war er den Tauben gegenübergestellt. Während Tauben Seelen in den Himmel bringen, bringen Raben sie in die Hölle und ein dänisches Sprichwort sagt: „Selten kommen Taubenküken aus Rabeneiern“, was bedeutet, dass das Gute nicht aus dem Bösen entspringt. (Brøndegaard 1985, 262, 266).
Bemerkenswerterweise behielten die Dänen jedoch, wenn auch in dämonisierter Form, auch das totemistische Motiv bei. Der Valravn [Todesrabe], ein Mensch, der dazu verflucht war, in Rabenform zu leben. Dieses Wesen hat seinen Fluch auf Menschen übertragen, die zufällig durch ein Loch in seinem Flügel geschaut haben. Typischerweise würde der Fluch durch den Verzehr des Herzens eines Kindes aufgehoben (Lukman 1958, 135). Eine Reihe von Märchen beschreiben Menschen, die als Fluch in Rabenform verwandelt wurden. Zwölf Brüder verwandelten sich in Raben. Gehängte Männer verwandelten sich in Raben oder Hexen, die ihre Gestalt in Raben verwandelten (Brøndegaard, 1985, 276). Andere animistische Ideen von Raben beinhalten die Idee ihrer besonderen Intelligenz sowie die seltsame Vorstellung, dass Raben Thing halten [parlamentarische Versammlung]. Wie Menschen haben sie sich versammelt, um ihre Gemeinschaft zu verwalten und Strafen zu vollstrecken (Brøndegaard, 1985, 268).

Die nordeuropäische Ablehnung von Raben hat eine interessante Parallele in der chinesischen Geschichte. Der Totemismus der Raben unter den Shang-Völkern wurde von der Zhou-Dynastie umgeschrieben, die ihre Macht in der frühen chinesischen Bronzezeit festigte. Der Shang-Rabe wurde als gefährliche und unberechenbare Kraft angesehen, und die Zhou-Erzählungen strebten danach, Raben zu unterwerfen oder zu „domestizieren“, während die Bevölkerung des Imperiums wuchs und die Agrarproduktion expandierte (Thornton und Thornton 2015, 68, 79). Die Thorntons sehen dies in Verbindung mit dem Niedergang des relationalen Daoismus und dem Aufkommen anthropozentrischer konfuzianischer Ideologien, die sich auf die Unterwerfung der Natur konzentrieren. Den Höhepunkt dieses historischen Trends sehen sie in dem dezidiert modernistischen Mao Zedong, der der Natur ausdrücklich den Krieg erklärte (Thornton und Thornton 2015, 80, 81).

Es sollte beachtet werden, dass das Totem des nordischen Raben auch in agrarischen, feudalen, sogar kolonialistischen sozialen Strukturen verwurzelt war, und vielleicht erklärt dies, warum der Trickster-Aspekt des Rabengottes etwas geschmälert wird, wenn man ihn mit anderen zirkumpolaren Rabenmythologien vergleicht. Obwohl Odin gewisse Trickster-Aspekte behält, ist der auffälligste Trickster in der nordeuropäischen Mythologie zweifellos Loki. Dies ist nicht der Ort, um sich mit der Geschichte und Bedeutung dieser faszinierenden Figur zu befassen. Es genügt zu beachten, dass Loki wie der Zhou Rabe sehr kontrolliert und zurückgehalten wird, da er in einer Höhle unter der Erde gefangen ist. Die Freisetzung dieser Trickster-Kraft bedeutet den Zusammenbruch des nordischen Kosmos bei Ragnarǫk. Aber der Rabe ist immer noch ein Totem und es gibt Aspekte von Odin, die einen unverkennbaren Trickster-Charakter haben. Er ist eine flüchtige, aber auch geniale Schöpfergottheit, die sowohl von sehr altruistischen als auch sehr egoistischen Motivationen angetrieben werden kann.

Abschluss

Ich glaube, dass Rabensymbole tatsächlich von Wikingerarmeen getragen wurden und dass dies eine Art zu sagen (oder zu schreien) gewesen sein könnte: „Wir werden euch alle töten und Raben werden sich an euren Augen erfreuen“ – natürlich! Symbole haben viele Bedeutungen, und es gibt nichts Seltsames in einem Symbol, das Brutalität signalisiert und gleichzeitig totemistische Zugehörigkeit oder sogar christliche Frömmigkeit signalisiert. Mein Vorschlag hier ist, dass die animistischen totemistischen Bedeutungen eine wichtige Schicht des Rabensymbols darstellen, möglicherweise eine Schicht, die grundlegender ist als militante Bedeutungen, die im Quellenmaterial sichtbarer sind.

Obwohl die Trickster-Aspekte in Odin vorhanden sind, ist es dennoch erwähnenswert, dass der Nordische Rabe möglicherweise schon vor der Ankunft des Christentums domestiziert worden sein mag. Der Rabe aus der Wikingerzeit scheint durch das soziale Bedürfnis nach militärischer Unterwerfung und Gewalt gefärbt zu sein. Wir würden ein etwas anderes Bild von einem Raben-Trickster erwarten, z.B. einer Figur, die in unvorhergesehenen Konsequenzen schwelgt und deren ungehinderte facettenreiche Kreativität „Möglichkeiten auf zunehmend amüsante Weise vervielfacht“, wie es von Graham Harvey formuliert wurde (Harvey 2017, xxi).

Es gibt auch zeitgenössische Fälle von Domestikation, auf die ich hier nicht näher eingehen werde. Es muss nur erwähnt werden, dass der Nordische Rabe zusammen mit anderen Wikingersymbolen manchmal unterjocht wird, indem er von weißen Nationalisten als ultranationalistisches Symbol dargestellt wird. Dies markiert dieses Symbol der Verwandtschaft zwischen Mensch und Nicht-Mensch eindeutig auf eine Weise, die es von den meisten Menschen in der westlichen Hemisphäre abgrenzt. Dies sollte jedoch unser Interesse an dem Symbol eher wecken als abschrecken. Wenn solche alten Symbolismen und Gemeinschaftsmodelle im Extremismus abgeschottet werden, hindert das Hunderte von Millionen daran, in einen aktiven ökozentrischen Dialog mit ihrer Kulturgeschichte einzutreten, um ihr Selbstverständnis im Rabenzeitalter zu erneuern. Betrachten wir Raben also nicht nur als Symbol aus der tiefen Vergangenheit, sondern auch als zeitgenössisches Symbol mit wichtigen Lehren für unsere Zeit, als Totem, als Ikone der Interdependenz und Intersubjektivität zwischen Mensch und Welt. Wie von den Thorntons vorgeschlagen, könnte Rabe die Anpassung, den Einfallsreichtum und die Widerstandsfähigkeit inspirieren, die wir brauchen, um die Umweltkatastrophe, mit der wir konfrontiert sind, zu bewältigen und abzumildern (Thornton und Thornton 2015, 68, 66). Wenn wir tatsächlich im Zeitalter des Raben leben, dann erinnern wir uns und erneuern wir den nordischen Raben in unsere Zeit!

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